Wenn aktuell von „Upload-Filter“, „Link-Steuer“, Urheberrechtsreform oder europäischem Leistungsschutz-Recht gesprochen wird, dann ist die umstrittene, neue EU-Richtlinie zum Urheberrecht gemeint. Korrekt und ausführlich heißt die Richtlinie auf Englisch „Directive on Copyright in the Digital Single Market 2016/0280(COD)“, kurz: EU-Urheberrechtsrichtlinie.
Update: Am 15. April 2019 hat die Richtlinie auch die letzte gesetzgeberische Hürde genommen. Jetzt bleiben den Mitgliedsstaaten zwei Jahre Zeit, die Richtlinie in nationale Gesetze umzusetzen.
Wichtig ist erst einmal: Es handelt sich um eine EU-Richtlinie. Solange sie nicht in nationales Recht umgesetzt ist, der Bundestag also ein entsprechendes Gesetz verabschiedet hat, hat sie juristisch keine Wirkung. Nur EU-Verordnungen gelten direkt.
Umstritten ist die neue EU-Urheberrechtsrichtlinie vor allem wegen der Artikel 11 („Leistungsschutzrecht“; in der finalen Fassung: Art. 15) und Artikel 13 („Upload-Filter“; in der finalen Fassung: Art. 17). Auf die Kritik und die Sichtweise des Bloggerclub e.V. auf diese beiden Artikel gehe ich in einem separaten Beitrag ein.
Hier geht es erst einmal darum, welche Konsequenzen die EU-Urheberrechtsrichtlinie für Blogger hätte, wenn sie nach dem aktuellen Stand der Formulierungen in ein nationales Gesetz umgesetzt würde.
Wichtiger Hinweis: Ich bin kein Jurist, habe die Informationen aber nach bestem Wissen und Gewissen und nach intensiver Lektüre diverser juristischer Stellungnahmen zu dem Thema zusammengestellt. Ich will, kann und darf mit diesem Beitrag ausdrücklich keine Rechtsberatung geben.
Leistungsschutzrecht – Artikel 11 (final: Art. 15)
Das Positive zuerst: Das Leistungsschutzrecht kann nicht rückwirkend angewandt werden. Bereits bestehende Blogbeiträge müssten also nicht nachträglich geändert werden, selbst wenn sie vom neuen EU-Leistungsschutzrecht betroffen wären.
Grundsätzlich ist das EU-Leistungsschutzrecht dem deutschen sehr ähnlich, das bereits seit 2013 in Kraft ist – und als großer Flop gilt. Allerdings gibt es einen großen Unterschied in der EU-Formulierung. Die Richtlinie definiert nämlich nur sehr schwammig, wer sich an die Vorschriften halten muss. Sagt das deutsche Gesetz klar, dass es sich nur auf Suchmaschinen und ähnliche Dienste bezieht, könnte sich die EU-Variante auch auf die meisten anderen Websites beziehen, inklusive Blogs.
Das Setzen von Hyperlinks ist explizit ausgenommen. Der Spitzname „Link-Steuer“ für das europäische Leistungsschutzrecht ist also ein wenig irreführend und stammt aus früheren Entwürfen der Richtlinie, wo noch nicht einmal klar war, ob man überhaupt noch Links setzen darf, ohne dafür Lizenzgebühren zu bezahlen. Diese Absurdität ist erfreulicherweise vom Tisch.
Das EU-Leistungsschutzrecht greift auch nicht bei Content, der älter als zwei Jahre ist – wobei Stichtag für die Frist der 1. Januar nach der tatsächlichen Veröffentlichung ist, im Extremfall also zwei Jahre und 364 Tage.
Unklar wird es aber schon bei der Frage, in welchem Umfang fremder Content verwendet werden darf. Die Formulierung lautet: „individual words or very short extracts of a press publication”. Genauer definiert die Richtlinie das nicht. Das ist aber schon beim deutschen Leistungsschutzrecht von 2013 so. Und bis heute ist nicht genau klar, wo die Grenze genau liegt.
Nerviges Kuriosum am Rande: Was ist eigentlich, wenn es sich bei dem (eigentlich erlaubten) Link um eine sprechende URL handelt, die beispielsweise die komplette, lange Überschrift des verlinkten Beitrags enthält? Dann wäre der Link erlaubt, die Wörter, die im Link vorkommen, aber nicht?
Wer muss das Leistungsschutzrecht beachten?
Wirklich undurchsichtig wird es aber bei der zentralen Definition, wer genau von den EU-Leistungsschutzrechten betroffen ist. Denn die Richtlinie spricht nur schwammig von „information society service provider“. Das wurde zwar in Zusammenhang mit der Fernabsatzrichtlinie im EU-Recht schon einmal näher beschrieben, die Definition dort lässt sich hier aber nicht sinnvoll anwenden.
Explizit ausgenommen ist nur private, nicht-kommerzielle Nutzung: „private or non-commercial uses of press publications by individual users”. Das trifft für die meisten Blogger nicht zu, weil man wohl schon bei wenigen Werbe-Bannern oder Affiliate-Links von kommerziellen Absichten ausgehen muss.
Andererseits beschreiben die Erwägungsgründe zu Artikel 11 der Richtlinie diejenigen, auf die sich die Regelung bezieht als „new online services, such as news aggregators or media monitoring services, for which the reuse of press publications constitutes an important part of their business models and a source of revenues”. Was auf Blogs typischerweise eigentlich nicht zutrifft.
Dies steht aber nur in den Erwägungsgründen, also quasi den inhaltlichen Erläuterungen, nicht aber im Artikel 11 selbst. In der Rechtsprechung spielen die Erwägungsgründe zwar eine wichtige Rolle, aber verlassen kann man sich nicht darauf.
Was also ist mit all den Online-Publikationen zwischen den Extremen „Suchmaschine“ und „rein private Nutzung“? Also vor allem auch: Blogs?
Das deutsche Leistungsschutzrecht von 2013 ist da viel präziser. Es bezieht sich nur auf „gewerbliche Anbieter von Suchmaschinen oder gewerbliche Anbieter von Dienste […], die Inhalte entsprechend aufbereiten“. Es besteht daher eine gewisse Hoffnung, dass die Umsetzung in nationales, deutsches Recht für mehr Klarheit sorgt und idealerweise die eindeutige Formulierung des deutschen Leistungsschutzrechts übernimmt.
Die Initiative gegen Leistungsschutzrecht (Igel) geht aktuell aber beispielsweise davon aus, dass die EU-Richtlinie sich auf jegliche Art von Website bezieht (mit Ausnahme privater, nicht-kommerzieller).
Blogs zählen laut EU-Richtlinie nicht zur privilegierten Presse
Anders als beim deutschen Leistungsschutzrecht schließt die EU-Richtlinie Blogs – zumindest über den Umweg der Erwägungsgründe – explizit vom Kreis der Nutznießer aus dem Leistungsschutzrecht aus. Diskussionsfähig wären allemal Multiautoren-Blogs, die mit einer Kontrollinstanz ähnlich einer Chefredaktion bei Verlagsmedien arbeiten, also faktisch die Definition der Erwägungsgründe der Richtlinie für einen Verlag erfüllen. Im deutschen Leistungsschutzrecht könnten dagegen verlagsmäßig, journalistisch und regelmäßig publizierende Blogs durchaus Berücksichtigung finden.
Dieser explizite Ausschluss von Blogs in der EU-Richtlinie hat immerhin einen Vorteil: Er schafft für Google und Co. Klarheit, dass sie den Content von Blogs nach wie vor ungestraft und ohne Lizenzvertrag in den Suchergebnissen benutzen dürfen. Keine Gefahr für Blogger also, aufgrund des EU-Leistungsschutzrechts aus den Suchergebnissen ausgeschlossen zu werden.
Dürfen Blogs aus Presse-Veröffentlichungen zitieren?
Vom deutschen Leistungsschutzrecht von 2013 wird das Zitatrecht nicht berührt. Denn es formuliert: „Zulässig ist die öffentliche Zugänglichmachung von Presseerzeugnissen oder Teilen hiervon, soweit sie nicht durch gewerbliche Anbieter von Suchmaschinen oder gewerbliche Anbieter von Diensten erfolgt, die Inhalte entsprechend aufbereiten.“
Dank der schwammigen Formulierung ist das für die EU-Richtlinie weniger klar. Allerdings haben wir beim Zitier-Recht in Deutschland immerhin Glück: Nach §51 Urheberrechtsgesetz dürfen wir in begrenztem Rahmen unter bestimmten Bedingungen zitieren. Das gilt sogar für Bilder. In anderen EU-Ländern gibt es im nationalen Recht ein solches Zitier-Recht teils nicht.
Da die EU-Richtlinie beim Leistungsschutzrecht keine Ausnahmen in Hinblick auf Zitate vorsieht, gerät das Zitier-Recht in Konflikt mit der Richtlinie. In der Konsequenz müsste man als Blogger wohl eher vorsichtig mit Zitaten umgehen und aus Verlagsmedien besser in eigenen Worten formulieren, statt wörtlich zu zitieren. Aber auch hier gilt es, zunächst die Umsetzung in nationales Recht abzuwarten und auf Präzisierung zu hoffen. Möglicherweise hat das deutsche Zitier-Recht als Teil eines Spezialgesetzes auch Vorrang vor dem weniger konkret formulierten EU-Recht.
Artikel 13 – „Upload-Filter“ (final: Art. 17)
Beim sogenannten „Upload-Filter“ ist für Blogger zunächst die Frage interessant, ob schon die Kommentarfunktion eines Blogs dafür einschlägig ist, weil User hier beispielsweise Textauszüge aus Verlagspublikationen, gegebenenfalls aber auch Bilder oder Videos posten könnten.
Diese Frage ist wohl mit „Nein“ zu beantworten. Die Richtlinie zielt auf Plattformen, deren Hauptzweck es ist, urheberrechtliche geschützte Werke in großem Umfang zu speichern und öffentlich zugänglich zu machen.
Zitat aus Artikel 2, Absatz 5 der Richtlinie: „[…] information society service whose main or one of the main purposes is to store and give the public access to a large amount of copyright protected works or other protected subject-matter uploaded by its users which it organises and promotes for profit-making purposes.”
Für Blogs trifft typischerweise nicht zu.
Allerdings könnten Blogger Opfer von fälschlicher Content-Filterung bei übereifrigen „Upload-Filter“ werden, wenn sie beispielsweise Youtube als alleinige Veröffentlichungsplattform (Vlogger) oder als Speicherplattform für Video-Content auf ihrem Blog nutzen. Das Recht auf freie Meinungsäußerung wäre also empfindlich eingeschränkt und abhängig von der Willkür von Filter-Algorithmen und Ähnlichem.
Fazit
Zunächst ändert sich für Blogger nichts. Relevant wird das Thema für die tägliche Arbeit erst, wenn die neue EU-Urheberrechtsrichtlinie in ein nationales, deutsches Gesetz umgesetzt ist. Wie das dann genau aussehen wird, ist noch nicht absehbar.
Gleichwohl bedeutet die EU-Urheberrechtsrichtlinie für Blogger nichts Gutes, weil sie die Meinungsfreiheit beschränkt, überholte Medien-Strukturen manifestiert, Blogger systematisch benachteiligt und zusätzliche Bürokratie aufbaut, statt sich zu öffnen für neue Geschäftsmodelle und ein offenes, zukunftsorientiertes Internet.
Wie der Bloggerclub e.V. die die EU-Urheberrechtsrichtlinie gesellschaftspolitisch beurteilt und aus Sicht von Bloggern kritisiert, habe ich in Beitrag „EU-Urheberrechtsrichtlinie beschränkt Meinungsfreiheit und missachtet gesellschaftliche Bedeutung von Blogs“ zusammengefasst.
Titelbild: Meala Bmay, Public Domain
Danke für diesen präzisen und unaufgeregten Beitrag, Franz! Eigentlich glaube ich nicht daran, dass das deutsche Zitatrecht von der Urheberrechtsreform hinweggefegt wird. Damit wäre eine seriöse Auseinandersetzung mit vielen Inhalten erschwert oder gar unmöglich. Eigentlich! Denn mittlerweile halte ich fast gar nichts mehr für ausgeschlossen, wenn inkompetente Entscheidungsträger auf Lobbyisten treffen. Nun beginnt das Warten auf die deutsche Übersetzung, denn wir wissen, dass es in der Gesetzgebung auf jedes einzelne Wort ankommt.